Das Landesarbeitsgericht München hat mit seinem Urteil vom 18.07.2023, Aktenzeichen 7 Sa 71/23 die Kündigung einer Referentin für Rundgangführungen in einer KZ-Gedenkstätte für wirksam erachtet. Entscheidend war nach Ansicht des Gerichts, dass es begründete Zweifel an der Verfassungstreue der Klägerin, der Referentin gibt.

Kurz und Knapp

  • Arbeitsverhältnis – beide Vertragsparteien haben Pflicht zur Rücksichtnahme,
  • Recht zur Kündigung durch Arbeitgeber, wenn ein Arbeitnehmer durch eine Meinungsäußerung Pflicht zur Loyalität verletzt,
  • Freiheit, die Meinung zu äußern, höher zu bewerten sein als das Recht des Arbeitgebers aus Artikel 12 GG,
  • Scharfe Kritik von Meinungsfreiheit gedeckt –aber Loyalitätspflicht besteht,
  • Pflichten aus dem Tarifvertrag überwiegen,
  • Herabwürdigung der Demokratie steht nicht im Einklang mit dem Tarifvertrag,
  • Verstoß gg. Loyalitätspflicht kann Kündigung rechtfertigen.

Meinungsfreiheit Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen

Aus dem Arbeitsverhältnis resultieren für die Arbeitnehmer nicht nur die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung, sondern auch sog. Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB.

Der Arbeitnehmer hat auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Zu den Nebenpflichten des Arbeitnehmers gehört insbesondere die Pflicht zur Loyalität. Die Loyalitätspflicht zwingt den Arbeitnehmer gleichwohl nicht zum blinden Gehorsam.

Gerade die Loyalitätspflicht ist gesetzlich als Pflicht nicht geregelt, sie folgt mit ihren einzelnen Ausprägungen zum Teil unmittelbar aus dem Wesen des Beamtenverhältnisses als Dienst- und Treueverhältnis und zum anderen aus besonderen Verhaltenspflichten, wie der Gehorsamspflicht (Weisungsgebundenheit) und der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten.

Unter Loyalitätspflichten, auch Treuepflichten genannt, versteht man die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Nebenpflicht des Arbeitnehmers zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, seine Rechte so auszulegen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und den Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann.

Eine Kündigung kann wegen der Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers aus Art. 5 Abs. 1 GG unwirksam sein. Dies spielt insbesondere bei (ggf. außerordentlichen) verhaltensbedingten Kündigungen eine Rolle, die der Arbeitgeber infolge von Äußerungen des Arbeitnehmers ausspricht.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 18.12.2014 – Az. 2 AZR 265/14 folgendes festgestellt:

Die Kündigung wegen der Äußerung einer Arbeitnehmerin habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Es fehle an einem wichtigen Grund gemäß § 626 BGB. Dieser sei dann gegeben, wenn Tatsachen vorlägen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen. Ein solcher Grund könne sich auch aus der Verletzung von Nebenpflichten aus dem Vertrag ergeben, wozu auch die Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Partei gehören können.

Von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt sind jedenfalls die Verbreitung unwahrer Tatsachen, strafbare Äußerungen oder die berüchtigte Schmähkritik. Dies gilt für öffentliche Äußerungen und Handlungen ebenso wie für solche, die sich innerhalb eines Unternehmens abspielen.

Sachverhalt

Die 1954 geborene Klägerin war bei einer vom Freistaat Bayern errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts seit Januar 2019 als Referentin für Rundgangführungen in der KZ-Gedenkstätte Dachau mit € 450,00 brutto beschäftigt.

Zweck der Beklagten ist es, die Gedenkstätten als Zeugen für die Verbrechen des Nationalsozialismus, als Orte der Erinnerung an die Leiden der Opfer und als Lernorte für künftige Generationen zu erhalten und zu gestalten und die darauf bezogene geschichtliche Forschung zu unterstützen.

Auf das Vertragsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Anwendung.

3 Abs. 1 S. 2 TV-L verpflichtet die Arbeitnehmer, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen.

Das Maß der Loyalität richtet sich nach Stellung und Aufgabenkreis des Arbeitnehmers gemäß der arbeitsvertraglichen Vereinbarung. Die Loyalitätspflicht gilt sowohl im dienstlichen wie im außerdienstlichen Bereich. Die Aufgabe der Klägerin bestand darin, Besucher durch das ehemalige Lager der Gedenkstätte Dachau zu führen, die historischen Abläufe zu erläutern und über das Lagerleben und das Schicksal der Häftlinge zur berichten. Für die Stiftung ist die zutreffende Wiedergabe von historischen Fakten und der Respekt vor der Geschichte der Gedenkstätte essenzielle Voraussetzung für die Ausübung dieser Tätigkeit.

Die Klägerin trat im Rahmen der „Anti-Corona-Bewegung“ auf Versammlungen als Rednerin auf. Bei einer Anti-Coronamaßnahmen-Demonstration auf dem Königsplatz Ende Januar 2022 sagte die Klägerin vor ca. 3.000 Teilnehmern u.a.:

„Wir haben`s hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik. … Und ihr seht die Ignoranz dieses Staates, dieses reaktionär faschistoiden Staates, der meint, er kann sich abschütteln.“

Die Beklagte lud die Klägerin daraufhin zum Personalgespräch ein, stellte sie dann mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei und kündigte ihr anschließend ordentlich zum 30.06.2022.

Die klagende Ex-Referentin erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht München.

Die von der Klägerin hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage hatte das Arbeitsgericht München abgewiesen und entschieden, dass die Kündigung als personenbedingte Kündigung wirksam ist, weil der Klägerin aufgrund ihres Verhaltens und damit einhergehender begründeter Zweifel an ihrer Verfassungstreue die Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit fehlt. Das Verhalten der Klägerin berühre die allgemeine Aufgabenstellung der Beklagten und wirke in die Gedenkstätte hinein.

Entscheidung des LAG München

Das LAG München hat heute die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt und Bezug genommen auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 06.09.2012 – Az. 2 AZR 372/11 zum Eignungsmangel bei Beschimpfung und Verächtlichmachung des Staates.

Das Landesarbeitsgericht München hat klargestellt:

„Wer Führungen in einer KZ-Gedenkstätte wie Dachau macht und die Besucher betreut, darf seinen demokratisch gewählten, staatlichen Arbeitgeber nicht mit einem Faschistenstaat gleichstellen.“

Eine solche Geisteshaltung und die damit einhergehende Herabwürdigung der Demokratie stehen nicht im Einklang mit § 3 Abs. 1 S. 2 TV-L.

Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin war daher der Arbeitgeberin nicht zuzumuten.

Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung ganz anders entschieden als das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 15.06.2023, Aktenzeichen 10 Sa 1143/22. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Bandenburg hat die fristlose Kündigung eines Lehrers für unwirksam erklärt. Der Lehrer hatte die Impfpolitik der Bundesregierung mit der Unrechtsherrschaft des Holocaust verglichen.

Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit hervor und gab diesem Grundrecht mehr Gewicht als den Interessen des Arbeitgebers. Es handle sich bei der Deutung des Klägers als Lehrer um eine scharfe Form der Kritik an der Coronapolitik, jedoch konnte nicht festgestellt werden, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit vorliegend überschritten ist.

Nur weil der Kläger Lehrer sei, gelten keine anderen Maßstäbe wie bei normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Lesen Sie hierzu unseren Beitrag – Kündigung eines Lehrers unwirksam – Spruch „Impfen macht frei“ fällt unter Meinungsfreiheit!

Das Urteil vom 18.07.2023, Az. 7 Sa 71/23 ist noch nicht rechtskräftig.

Fazit

Ar­beits­ge­rich­te ent­schei­den im Zwei­fel für die Mei­nungs­frei­heit, jedoch nicht immer, so wie das aktuelle Urteil des LAG München zeigt.

Das Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist der Auffassung, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung grundsätzlich auch im Arbeitsverhältnis gelte.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 18.12.2014 unter dem Az. 2 AZR 265/14 entschieden, dass einem Arbeitnehmer nicht wegen einer Meinungsäußerung gekündigt werden kann.

Das Bundesarbeitsgericht hebt die überragende Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung hervor.

Es wäre mit dem Grundrecht nicht vereinbar, wenn im Arbeitsrecht die Auffassungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur eingeschränkt oder gar nicht geäußert werden dürfen.

Der Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational, emotional, begründet oder grundlos sei. Anders dagegen bei beleidigenden Äußerungen oder Herabwürdigungen des Arbeitgebers.

Jedoch ist die Loyalitätspflicht der Arbeitnehmer steht’s besonders zu gewichten. Sofern die Äußerungen oder Ansichten der Abreitnehmer erhebliche Zweifel an der Eignung der Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber begründen, wird das Recht auf Meinungsfreiheit verdrängt. Dem Arbeitgeber ist bei derart kritischen Ansichten der Arbeitnehmerin, wie im vorliegenden Fall, eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten.

Ein Arbeitnehmer, der gänzlich negativ gegen die Werte des Arbeitgebers, im vorliegenden Fall des Staates und dem Öffentlichen Dienst, eingestellt ist, dem fehlt die Eignung an einer Beschäftigung für derartige Arbeitgeber. Es ist legitim, dass es dem Arbeitgeber dann nicht zuzumuten ist, Arbeitnehmer zu beschäftigen, die gänzlich kritisch und abwertend eingestellt sind.

Denn eines ist klar, der Arbeitnehmer hat es selbst in der Hand, ob er die Werte des Arbeitgebers teilt und dort beschäftigt sein will oder nicht. Teilt er die Werte nicht, steht es ihm frei sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen.

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Herr Loibl hat die Kanzlei im August 2019 gegründet. Er hat sein Rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Passau absolviert. Während des Referendariats am OLG München folgten Stationen bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf, dem Landgericht Deggendorf.
Vor seinem Studium der Rechtswissenschaften war Herr Loibl bereits mehrere Jahre im Öffentlichen Dienst bei verschiedenen Behörden tätig.

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