Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG Hamm) hat in seinem Urteil vom – Az. 18 SLa 959/24 festgestellt, dass eine Dauerüberwachung per Video von Mitarbeitern einen massiven Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt und einem Mitarbeiter Schadensersatz in Höhe von 15.000 EUR zugesprochen.
Obwohl der Mitarbeiter einer Videoüberwachung widersprochen hatte, setzte das Stahlunternehmen die Aufzeichnungen in den Betriebsräumen mittels HD-Kameras fast zwei Jahre lang fort.
Das Arbeits- und Datenschutzrecht lässt eine Videoüberwachung im Betrieb/am Arbeitsplatz nur unter bestimmten Voraussetzungen zu.
Aufzeichnungen aus einer fehlerhaften, widerrechtlich erfolgten Überwachung darf zur Begründung einer Kündigung nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nur im Einzelfall nutzen.
Das BAG hat Videoaufzeichnung aus einer offenen Videoüberwachung für verwertbar erklärt, um einen Arbeitszeitbetrug durch den Arbeitgeber beweisen zu können – BAG, Urteil 29. Juni 2023, Az. 2 AZR 296/22
Nachfolgend das Wichtigste zu Videoüberwachung in Kürze:
- Videoüberwachung ist gemäß Datenschutz in öffentlichen und nicht öffentlichen Räumen zulässig.
- Kennzeichnungspflicht in öffentlichen Räumen.
- In nicht öffentlichen Räumen ist heimliche Videoüberwachung anlassbezogen zulässig.
- Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur bei Einwilligung der Arbeitnehmer nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) – darf nicht auf Räume wie WC und Umkleide ausgedehnt werden.
- Datenschutzgrundsätze gewahrt sein.
Videoüberwachung – Grundrechtseingriff möglich, notwendig und zulässig?
Eine Videoüberwachung am Arbeitsplatz bedeutet immer einen Grundrechts-Eingriff, insbesondere ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild – Art. 2 Grundgesetz (GG). Das Recht am eigenen Bild ist vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt.
Eine Dauer-Überwachung erwirkt eine ständigen Überwachungsdruck, der nicht gerechtfertigt werden kann.
Ab und an ist jedoch eine Video-Überwachung zulässig, insbesondere dann, wenn es um den Schutz von Eigentum des Arbeitgebers, im Rahmen von strafbaren Handlungen, wie der Sachbeschädigung oder Diebstahl handelt.
Wichtig – die Video-Überwachung im Rahmen einer Kontrolle muss transparent sein und gegenüber den Arbeitnehmern entsprechend frühzeitig mitgeteilt werden.
Offene, präventive und verdeckte Video-Überwachung
Mit entsprechender Kennzeichnung ist eine offene Videoüberwachung im Unternehmen, an Stellen, die für jeden zugänglich sind, zulässig, wenn ein nachvollziehbarer Grund vorliegt. Dies regelt § 4 BDSG.
Nach Ansicht der Rechtsprechung liegt ein legitimer Zweck vor, wenn ein Arbeitgeber bspw. im Einzelhandel seine Ware schützen will.
§ 26 Abs. 1 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) regelt die präventive Videoüberwachung von nicht öffentlich zugänglichen Arbeits- und Betriebsräumen.
Eine dauerhafte Überwachung in nicht öffentlichen Räumen ist wegen der Intensität als reine Präventivmaßnahme unzulässig.
Im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses stellt § 26 BDSG eine abschließende Regelung dar, die ein verdeckte Videoüberwachung wegen des schweren Eingriffs in die Arbeitnehmer-Rechte nur eingeschränkt zulässig ist.
Die verdeckte bzw. heimliche Video-Überwachung von Arbeitnehmern, bspw. zur Überprüfung der Arbeitsleistung oder als präventiver Schutz vor Eigentumsdelikten hat das Bundesarbeitsgericht als unzulässig erachtet.
Wichtig – zulässig ist eine verdeckte Videoüberwachung dann, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung von Beschäftigten zulasten des Arbeitgebers besteht.
Sachverhalt der Entscheidung
Im Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm stritten die Parteien über Ansprüche des Klägers vor dem Hintergrund einer Überwachung durch Videokameras, die die Beklagte in ihrem Betrieb durchführte.
Die Betriebshalle der Beklagten besteht aus einer Produktionshalle, in welcher Stahl verarbeitet wird, einem Pausenraum, Umkleideräumen, WCs, zwei Büros und einem angrenzenden Lagerraum.
Unter § 14 des Arbeitsvertrages vom 01.08.2020 heißt es:
„Der Arbeitnehmer ist damit einverstanden, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses und unter Beachtung der Vorschriften des Datenschutzes ihre personenbezogenen Daten verarbeitet werden können.“
Seit Januar 2023 arbeitete der Kläger im Betrieb der Beklagten.
Er erbrachte seine Arbeitsleistung überwiegend an der sogenannten Schälmaschine in der Produktionshalle. An verschiedenen Stellen am Arbeitsplatz des Klägers waren Kameras angebracht und nahmen auch beim Verlassen des Arbeitsplatzes die Vorderansicht auf.
Über die Kameras konnte kontrolliert werden, ob und wann der Kläger sich auf dem Weg zum Büro, zum Pausenraum oder zum WC befindet.
Zunächst hatten die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Dortmund mittels eines Vergleichs beendet.
In dem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte unter anderem dazu, dem Kläger Auskunft über die Kameras im Betrieb der Beklagten zu erteilen, insbesondere bezüglich deren Betriebszeiten, Anzahl, Aufnahmen und Speicherdauer. Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.11.2023 erteilte die Beklagte Auskunft über den Betrieb von Videokameras. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2023 rügte der Kläger, die Auskunft sei inhaltlich falsch und unzureichend. Die mitgeteilten Zwecke der Videoüberwachung rechtfertigten den Umfang der Kameraüberwachung nicht. Abschließend forderte der Kläger die Beklagte auf, die Videoüberwachung einzustellen und die Auskunft „richtig“ zu erteilen.
Mit seiner Klage hat der Kläger seine Ansprüche weiterverfolgt. Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 26.09.2024 eine Kündigung zum 31.10.2024 aus, die sie auf betriebliche Gründe hat stützen wollen.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Der Rechtsstreit wurde wiederum durch einen Vergleich beendet.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die Beklagte auf Unterlassung der Videoüberwachung und Videoaufzeichnung, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen.
Der Kläger hat – zusammengefasst – vorgetragen:
Die permanente und dauerhafte Videoüberwachung sei nicht gerechtfertigt. Die Arbeitnehmer seien einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt.
Die Beklagte hat – zusammengefasst – vorgetragen:
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers aufgrund der Kameraüberwachung sei gering.
Die Beklagte meint,
- es liege kein schwerwiegender rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers vor und,
- es gebe keinen Nachweis oder konkreten Vortrag des Klägers für die Annahme eines Anpassungsdrucks „unerträglichen Ausmaßes“.
Entscheidung des Landesarbeitsgericht Hamm
Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000,00 € verlangen.
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers
Der Anspruch ergibt sich daraus, dass die Beklagte das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch eine übermäßige Kameraüberwachung in rechtswidriger, schuldhafter und erheblicher Weise verletzt hat.
Die Beklagte griff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ein.
Der Eingriff erfolgte dadurch, dass die Beklagte mit den Videokameras, die in der Betriebshalle installiert sind, Bildaufnahmen vom Kläger fertigte. Das Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht am eigenen Bild (BAG, Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13).
Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise verwendet werden dürfen.
Rechtswidrigkeit des Eingriffs
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers war rechtswidrig.
Ob ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild durch Videoaufnahmen rechtswidrig ist, beurteilt sich nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes sowie der DSGVO.
Das Anfertigen von Videoaufnahmen stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO dar.
Die Kameraüberwachung ist nicht nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes zulässig – § 26 BDSG.
Die Videoüberwachung ist auch nicht nach Art. 6 DSGVO zulässig.
An einer wirksamen Einwilligung des Klägers im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a DSGVO fehlt es ebenso.
Zwar hat sich der Kläger gemäß § 14 des Arbeitsvertrages vom 01.08.2020 mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einverstanden erklärt.
Damit willigte er jedoch nicht wirksam in die Videoüberwachung ein. Es fehlt schon an der erforderlichen Freiwilligkeit der Einwilligung.
Auch die weiteren vorgebrachten Gründe für eine zulässige Videoüberwachung, wie die Verhinderung von Straftaten, wie Diebstählen, die Sicherung/Überwachung von Betriebshallen und Maschinen, die Verhinderung von Arbeitsunfällen und die Überwachung von möglichen Maschinen ausfällen begründen die Rechtsmäßigkeit der Videoüberwachung nicht.
Abschließende Feststellung des Gerichts
Die Beklagte hat sich in eklatanter Weise über die Vorgaben des Datenschutzrechts hinweggesetzt.
Anhaltspunkte dafür, dass sie hätte glauben dürfen, ihr Vorgehen seien rechtmäßig, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte nicht vorgebracht, sich vor der Installation der Kameraüberwachungsanlage datenschutzrechtlich beraten lassen zu haben.
Zudem handelt es sich angesichts der Dauer und Intensität der Überwachung um einen besonders schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers
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Fazit
- Videoüberwachung am Arbeitsplatz muss zulässig und begründet sein.
- Erforderlich ist,
eine gesetzliche Erlaubnis oder
eine Einwilligung der Beteiligten.
- Zustimmung des Betriebsrats erforderlich.
Eine Kündigung auf der Grundlage von Umständen, die durch widerrechtlich angefertigte Videoaufnahmen erlangt wurden, ist unwirksam.
Eine Kündigungsschutzklage hat demnach Aussicht auf Erfolg.
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Über uns
Herr Loibl hat die Kanzlei im August 2019 gegründet. Er hat sein Rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Passau absolviert. Während des Referendariats am OLG München folgten Stationen bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf, dem Landgericht Deggendorf.
Vor seinem Studium der Rechtswissenschaften war Herr Loibl bereits mehrere Jahre im Öffentlichen Dienst bei verschiedenen Behörden tätig.
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