Mit seinem Urteil vom 19. Februar, Az. 10 AZR 57/24 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass sich ein Arbeitgeber schadensersatzpflichtig macht, wenn er es unterlässt, die für das Arbeitsentgelt entscheidenden Umständen, wie die Zielvorgaben, rechtzeitig zu benennen.

Arbeitsentgelte können im Arbeitsvertrag individuell ausgestaltet sein. Eine Vergütung kann eine bestimmte, feste Höhe haben und zusätzlich einen variablen Vergütungsanteil, wie einer Bonus- oder Sonderzahlung enthalten, welche von Zielvereinbarung abhängig sind.

Leitsatz der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) lautet:

Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung aus.

Was sind Zielvorgaben?

Zielvorgaben sind Umstände, die sich auf das Arbeitsentgelt auswirken und durch die die Zahlung des Arbeitsentgelts einseitig durch das vom Arbeitgeber zu bestimmenden Ziels abhängig gemacht wird.

Im Unterschied hierzu bilden die sog. Zielvereinbarungen. Bei Zielvereinbarungen werden die Ziele durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam bestimmt.

Sind die vom Arbeitgeber festgelegten Zielvorgaben unbillig, weil die Ziele beispielsweise für den Arbeitnehmer nicht erreichbar sind, wird eine sogenannte „fiktive Zielerreichung“ von 100 % zugrunde gelegt. Die Zielvorgaben des Arbeitgebers müssen daher realistisch sein.

Dies gilt auch beim Unterlassen des Arbeitgebers die Vorgaben festzulegen beziehungsweise, wenn er die Festlegung verzögert. Auch hier gilt die Initiativlast zu Lasten des Arbeitgebers (siehe unter 3 c).

Hinweis:

Bonus und Tantiemen sind Vergütungsvereinbarungen. Durch diese Vergütungsvereinbarungen werden die Arbeitnehmer am Erfolg des Unternehmens beteiligen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer legen diese Vergütungsvereinbarungen gemeinsam fest, d.h. es wird festgelegt, welches Ziel erreicht werden soll, um die zusätzliche Vergütung zu erhalten.

Die Parteien sind an die Voraussetzungen solcher Vereinbarungen gebunden.  

Wie können variable Vergütungsentgelte/-Bestandteile vereinbart werden?

Sonderzahlungen, wie Bonie, Prämien oder dergleichen können sich aus den arbeitsrechtlichen Anspruchsgrundlagen ergeben. Dies bspw. aus

  • Vertragliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag
  • Per Gesetz
  • Tarifvertrag
  • Betriebsvereinbarung
  • Betriebliche Übung
  • Gesamtzusage
  • Und aus dem arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Sachverhalt der Entscheidung

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin bis zum 30. November 2019 als Mitarbeiter mit Führungsverantwortung beschäftigt.

Der Arbeitsvertrag enthielt einen Anspruch auf eine variable Vergütung.

Eine im Unternehmen des Arbeitgebers ausgestaltende Betriebsvereinbarung bestimmte, dass bis zum 1. März des Kalenderjahres eine Zielvorgabe zu erfolgen hat, die sich zu 70 % aus Unternehmenszielen und 30 % aus individuellen Zielen zusammensetzt, und sich die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils nach der Zielerreichung des Mitarbeiters richtet.

Am 26. September 2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mit,

für das Jahr 2019 werde bezogen auf die individuellen Ziele entsprechend der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren von einem Zielerreichungsgrad von 142 % ausgegangen.

Erstmals am 15. Oktober 2019 wurden dem Kläger konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen einschließlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt.

Eine Vorgabe individueller Ziele für den Kläger erfolgte nicht.

Die Beklagte zahlte an den Kläger für 2019 eine variable Vergütung iHv. 15.586,55 Euro brutto.

Der Kläger vertrat die Auffassung, dass die beklagte Arbeitgeberin sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie

  1. für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und
  2. die Unternehmensziele verspätet vorgegeben habe.

Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 % und individuelle Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte.

Aus diesem Grund stünden ihm – dem Arbeitnehmer/Kläger – unter Berücksichtigung der von der Beklagten geleisteten Zahlung weitere 16.035,94 Euro brutto als Schadensersatz zu.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten,

  1. die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und
  2. habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen,

weshalb ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe ausgeschlossen sei.

Unabhängig davon könne der Kläger allenfalls eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB verlangen.

Die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersatzleistungsbestimmung schließe Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Zielvorgabe aus. Im Übrigen sei die Höhe eines möglichen Schadens unzutreffend berechnet.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht hat geurteilt, dass

der Kläger hat gegen die Beklagte, wie vom Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt, nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz iHv. 16.035,94 Euro brutto.

Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem bereits etwa ¾ der Zielperiode abgelaufen waren.

Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.

Deshalb kommt hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB in Betracht.

Bei der im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO) zu ermittelnden Höhe des zu ersetzenden Schadens war nach § 252 Satz 2 BGB von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung auszugehen und anzunehmen, dass der Kläger bei einer billigem Ermessen entsprechenden Zielvorgabe die Unternehmensziele zu 100 % und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte.

Besondere Umstände, die diese Annahme ausschließen, hat die Beklagte nicht dargetan. Der Kläger musste sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden iSv. § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen.

Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet ein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt.

Fragen im Arbeitsrecht? LOIBL LAW hilft schnell, unkompliziert und lösungsorientiert!

LOIBL LAW – die Rechtskanzlei, Ihre Experten im Arbeitsrecht!

WIR beraten Sie, ob als Arbeitnehmer, Arbeitnehmerin oder Arbeitgeber in allen Fragen und Angelegenheiten des Arbeitsrechts.

Wir beraten Sie bundesweit. Sie erhalten bei uns eine kostenlose Ersteinschätzung zu Ihrem Anliegen.

WIR handeln schnell, unkompliziert und lösungsorientiert. Unser Ziel, Ihre Rechte Sichern und schützen!

Sie können sich jederzeit unverbindlich unter 0991/38306131, per E-Mail mail@loibl-law.de oder WhatsApp-Business unter 099138306131 oder über die weiteren Kontaktmöglichkeiten auf unserer Website www.loibl-law.de mit der Online-Chat-Funktion melden.

Weitere Infos und Antworten zum Arbeitsrecht finden Sie auf unserer Website – Arbeitsrecht

Zudem sind wir auf verschiedenen Social-Media-Accounts und auf anwalt.de vertreten.

Ihr Team von LOIBL LAW!

Über uns

Herr Loibl hat die Kanzlei im August 2019 gegründet. Er hat sein Rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Passau absolviert. Während des Referendariats am OLG München folgten Stationen bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf, dem Landgericht Deggendorf.
Vor seinem Studium der Rechtswissenschaften war Herr Loibl bereits mehrere Jahre im Öffentlichen Dienst bei verschiedenen Behörden tätig.

Sie haben Fragen?

Reden Sie mit uns, wir helfen Ihnen und freuen uns auf Ihre Nachricht.

    20 − 9 =