Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitssektor, die sich nicht impfen lassen möchten, darf der Arbeitgeber freistellen.
Arbeitgeber von Beschäftigten im Pflege- und Gesundheitssektor dürfen diese freistellen, wenn sie sich nicht impfen lassen wollen, so das Arbeitsgericht Gießen – Urt. v. 12.04.2022, Az. 5 Ga 1/22 und 5 Ga 2/22.
I. Allgemeines
Für Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitsbereich gilt gem. § 20a Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, dh in derartigen Einrichtungen wie in Krankenhäusern, Pflege- oder Seniorenheimen etc. dürfen nur Personen beschäftigt werden, die vollständig geimpft sind oder einen aktuellen Genesenennachweis vorlegen können.
Entscheiden hier war der 15. März 2022, dh eine Beschäftigung von nach diesem Tag eingestellten Arbeitnehmerinnen die nicht geimpft sind, ist unzulässig. Altbeschäftigte Arbeitnehmerinnen bzw. die bis 15.3.2022 eingestellt wurden, müssen den Impf- bzw. Genesenenstatus dem Arbeitgeber gegenüber nachweisen.
Erfolgt der entsprechende Nachweis nicht, hat der Arbeitgeber dies dem zuständigen Gesundheitsamt mitzuteilen. Das Gesundheitsamt kann ein Beschäftigungsverbot erlassen.
Erfolgt ein Beschäftigungsverbot, darf der Arbeitnehmer nicht mehr tätig werden. Der Umkehrschluss hieraus ist – ohne die Erteilung eines behördlichen Beschäftigungsverbots ist eine Beschäftigung des ungeimpften Mitarbeiters rechtlich zulässig.
II. Der aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen lag folgender Fall zu Grunde:
Die Antragsteller, eine Pflegekraft und ein Wohnbereichsleiter begehrten im Wege der einstweiligen Verfügung ihre vertragsgemäße Beschäftigung in einem Seniorenheim. Beide Antragsteller standen zum Zeitpunkt der Freistellung in ungekündigten Arbeitsverhältnissen zur Antragsgegnerin (Arbeitgeber) und sind nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft.
Beide wurden mit Wirkung ab dem 16. März 2022 von der Antragsgegnerin, die bundesweit Seniorenheime betreibt, ohne Fortzahlung der Vergütung freigestellt, weil sie bis zum 15. März 2022 entgegen § 20a Abs. 2 IfSG keine Impfung gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen und auch keinen Genesenennachweis vorgelegt hatten. Die Antragsteller halten die Freistellungen für rechtswidrig.
Die Anträge des Wohnbereichsleiters und der Pflegefachkraft in einem Seniorenheim auf Beschäftigung trotz Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises wurden von der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Gießen zurückgewiesen.
Die Betroffenen wollten diese Freistellung nicht hinnehmen. Sie verlangten ihre Beschäftigung und machten diese sodann im Wege der einstweiligen Verfügung gerichtlich geltend.
Das Gericht teilte jedoch die Auffassung des Arbeitgebers.
Aus § 20a Abs. 3 S. 4 IfSG folge zwar ein unmittelbares Beschäftigungsverbot bei Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nur für ab dem 16. März 2022 neu eingestellte Personen, nicht aber für bislang schon beschäftigte Personen, so die Kammer ausweislich der Pressemitteilung.
Ein Arbeitgeber steht es jedoch aufgrund der gesetzlichen Wertungen des § 20a IfSG und im Rahmen billigen Ermessens frei, aufgrund des besonderen Schutzbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner eines Seniorenheims Arbeitnehmerinnen, die weder geimpft noch genesen sind und ihrer gesetzlichen Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nicht nachkommen, von der Arbeitsleistung freizustellen.
Der Gesundheitsschutz der Heimbewohner überwiege im Rahmen einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Arbeitnehmer, so die Kammer des Arbeitsgerichts Gießen im Urteil vom 12.04.2022.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen dürfte die erste Entscheidung eines Arbeitsgerichts im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sein.
III. Haben freigestellte Arbeitnehmerinnen einen Anspruch auf Lohnfortzahlung
Die Freistellung von Arbeitnehmerinnen stellt eine Durchbrechung des Grundsatzes “Ohne Arbeit kein Lohn” dar. Lohnansprüche im Freistellungszeitraum bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer besonderen vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchsgrundlage bedürfen.
Die Frage ob die Vergütung für die Zeit der Freistellung fortzuzahlen ist, war nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Im Verfahren des Landesarbeitsgerichts Köln – Urt. v. 12.04.2021, 2 SaGa 1/21 – stritten die Parteien im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Beklagte den Kläger ohne Mund-Nase-Bedeckung im örtlichen Rathaus tätig werden lassen muss, hilfsweise, ob die Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger zu erbringende Bürotätigkeit im Home Office erledigen zu lassen.
Dem Kläger steht kein Anspruch darauf zu, dass die Beklagte seine Arbeitsleistung im Rathaus ohne das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung duldet, so das LAG Köln.
Die Vorinstanz, das Arbeitsgericht hat den Anträgen der Beklagten auf Abweisung der Klägeranträge entsprochen. Es hat die Anordnung der Mund-Nase-Bedeckung als vom Direktionsrecht umfasst angesehen.
In rechtlicher Hinsicht bedeutet dies, dass eine ärztlich attestierte Maskenbefreiung keine Tätigkeit ohne Maske rechtfertig sondern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freistellen kann, vgl. hierzu auch das LAG Hamburg, Urt. v. 13.10.2021, Az.: 7 Sa 23/21.
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers rechtfertigt weitergehenden, dem betrieblichen Gesundheitsschutz dienenden Maßnahmen. Der hierdurch erfolgte Eingriff in die körperliche Unversehrtheit muss von den Arbeiterinnen geduldet werden.
Anders stellt sich die rechtliche Lage im Hinblick auf eine Freistellung unter Lohnfortzahlung dann dar, wenn der Sonderfall vorliegt, wonach ein Arbeitnehmer aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nach § 20a Abs. 1 S. 2 IfSG nicht geimpft werden kann.
Gleichwohl wäre bei einem impfunfähigen Arbeitnehmer eine Freistellung gerechtfertigt, da nach wie vor eine Gefährdung der Rechtsgüter der Bewohner besteht, jedoch besteht seitens des impfunfähigen Arbeitnehmers eine Anspruch auf Lohnfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz wegen einer Arbeitsunfähigkeit.
Impffähige, aber impfunwillige Arbeitnehmerinnen haben hingegen keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die Pflicht eines Arbeitnehmers liegt darin, dem Arbeitgeber die Arbeit zur Verfügung zustellen. Tut er dies nicht, weil er sich nicht impfen lassen will, erbringt er seine geschuldete Leistung nicht, sodass er den Anspruch auf den Lohn verliert.
IV. Fazit
Der Arbeitgeber darf impfunwillige Arbeitnehmerinnen freistellen. Diese Arbeitnehmerinnen haben unter Umständen keinerlei Anspruch auf Lohnfortzahlung.
Ein gerichtliches Vorgehen muss vorab im Rahmen einer Einzelfallprüfung rechtlich geprüft werden, da die Gerichte im Rahmen der Abwägung, oftmals der Argumentation der Arbeitgeber folgen, da der Gesundheitsschutz, insbesondere im Pflegebereich und der dort beheimateten Heimbewohner überwiege.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen hat vorliegend einen gewissen Präzedenz-Fall-Charakter
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Herr Loibl hat die Kanzlei im August 2019 gegründet. Er hat sein Rechtswissenschaftliches Studium an der Universität Passau absolviert. Während des Referendariats am OLG München folgten Stationen bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf, dem Landgericht Deggendorf.
Vor seinem Studium der Rechtswissenschaften war Herr Loibl bereits mehrere Jahre im Öffentlichen Dienst bei verschiedenen Behörden tätig.
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